Ein Stück Leben porträtiert

SZ trifft Kjersti A. Skomsvold zum Interview / Lesung im Sanitätshaus Kienzle / „Ich muss fühlen, dass die Zeilen wahr sein können.“

Schreiben und Leben: Mit Kjersti A. Skomsvold war eine der wichtigsten Gegenwartsautorinnen Norwegens zu Gast beim Bad Berleburger Literaturpflaster. Hier im Bild auf einer Bank vor dem Berleburger Schloss. (SZ-Foto: Sarah Benscheidt)

Bad Berleburg. (sabe) „Ich wusste, ich würde das nicht überstehen, es ging einfach nicht. Doch dann tauchte der Wald wieder auf, während sich eine neue Schmerzwelle durch meinen Körper bohrte, führten mich meine Gedanken in den Wald, ich stand unter dem Baum, alles war hellgrün und rund und vorbei, müsste es nicht bald vorbei sein?“ Ein schmales Buch, das sehr weit reicht. Ein ehrlicher Roman voller klarer Bilder, konstruiert aus sprachlichem Feingefühl, einem genauen Blick auf sich selbst, die Welt, unsere Zeit und Mutterschaft. „Meine Gedanken stehen unter einem Baum und sehen in die Krone“, so heißt der deutsche Titel des Romans von Kjersti A. Skomsvold. In ihrer Heimat Norwegen wurde das Buch unter dem Namen „barnet“ (das Kind), veröffentlicht. Im Rahmen des Literaturpflasters ist die gefeierte Bestsellerautorin („Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich“) zu Gast in Bad Berleburg. Am Dienstagabend las sie im Sanitätshaus Kienzle, nachmittags hatte sie Zeit für ein Interview.

„Für Kjersti steht viel auf dem Programm, eine aufregende Zeit“, sagt Anna-Marie Mamar vom Hoffmann und Campe Verlag, die die norwegische Autorin während ihrer Deutschland-Tour (dazu gehört auch der Besuch auf der Frankfurter Buchmesse) begleitet. Das Schloss und den Schlossgarten wollen sie sich aber trotzdem noch ansehen. „Die Magie des Ortes einsaugen“, Kjersti Skomsvold lächelt und zeigt sich mit der Wahl des Cafés zum Gespräch umso zufriedener: ein offener Blick auf den Berleburger Prachtbau, das Schloss, und ein wärmender Kräutertee.

Sie hält zwei Bücher in der Hand. Auf Deutsch und auf Norwegisch. In „Meine Gedanken stehen unter einem Baum und sehen in die Krone“ geht es um die existenzielle Erfahrung der Mutterschaft, Liebe, Selbstfindung, Angst, physischen Schmerz und den Mut, den man aufbringen muss, um sein Leben mit anderen Menschen zu teilen. Die Protagonistin des Romans, Schriftstellerin wie Skomsvold selbst, lebt lange Zeit allein und (fast) nur für das Schreiben. Mit der Geburt des ersten Kindes hat sie das Gefühl, das bisher Wichtigste in ihrem Leben, das Schreiben, aufs Spiel zu setzten: „Vielleicht sollte ich nicht schreiben, solange du noch so klein bist, man wird ganz fern vom Schreiben, vielleicht sollte ich nur mit dir reden, dich anlächeln, auf dich aufpassen?“ Ihre ehrlichen, ungeschönten Erfahrungen („als könnten die Menschen, die die Tür öffneten, sehen, wie zerrissen und zerschnitten ich innen und außen war“) während der Schwangerschaft und vor allem der Zeit danach, der Zeit mit einem neuen, kleinen Leben, erzählt sie (die Romanfigur) in der Handlung ihrem zweiten Kind, mit dessen Geburt sich die Schreibblockade – welche bis dann anhielt – auflöst. „So war es auch bei mir“, erzählt Kjersti Skomsvold und wärmt sich die Hände an ihrem Tee. Beim ersten Kind (Skomsvold hat selbst zwei Kinder) sei das Schreiben anstrengend gewesen, zäh. Mit dem zweiten Kind wurde vieles anders: „Das Baby war vor meiner Brust, und ich habe Post-its mit Notizen an die Wand geklebt.“ Sie lächelt, macht eine Bewegung, die zeigt, wie mühsam diese Art des Skizzierens und Gedankensammelns war – die Vorarbeiten für „Meine Gedanken stehen unter einem Baum und sehen in die Krone“.

Trotzdem, die Figur in ihrem Roman, das sei nicht sie selbst, aber es seien ihre Erfahrungen. „Es gibt Parallelen zwischen ihr und mir.“ Auch in ihrem Leben habe es einen Zeitpunkt gegeben, der alles auf den Kopf gestellt habe. „Manchmal kommt das Leben und schlägt dich ins Gesicht“, sagt sie und erzählt von ihrem Abbruch des Studiums („Ich wollte Ingenieurin werden“), ihrer darauf folgenden Krankheit („Ich habe geweint, geweint und geweint“) und der Zeit in ihrem Leben, als es nur sie und ihren Schreibtisch gab.

„Schreiben ist für mich etwas, das es schafft, dein Leben zu verändern, Schreiben ist echtes Glück, es vermag etwas zu kreieren, das außerhalb von dir selbst liegt und worin du dich trotzdem spiegeln kannst, ich muss fühlen, dass die Zeilen, die ich schreibe, wahr sein können, das Leben sind – ob die Gefühle, die Situationen, die dadurch abgebildet werden, nun gute oder schlechte sind, das ist egal, aber sie müssen in einer Art echt sein.“ Eben das macht die geschriebenen Bilder, die Kjersti Skomsvold in ihrem Roman kreiert, aus. Sie spielen mit Licht und Schatten, der ganzen Palette menschlicher Emotionen, klopfen einem auf die Schulter und sagen: „Es ist okay zu zweifeln, Angst zu haben, sie herauszuschreien, jede Emotion hat ihre Daseinsberechtigung, all das gehört zu einem Ganzen.“

So gelingt es, dass persönliche Erfahrungen in Allgemeingültigkeit erhöht werden. Hell, ernst, eindringlich, verletzlich und poetisch ist dabei die Sprache, derer sich Skomsvold bedient und damit vermag, das Tiefste in uns zu berühren. Das gelingt ihr gerade deshalb, weil ihr eigenes Leben in den Text hineinreicht.

Diese Ehrlichkeit, mit der der Roman erzählt, was passiert, wenn der Zufall die Liebe erweckt, sich im Menschen alles neu ordnen muss, Welten zerstört werden, um neu geboren zu werden, und die Liebe ihm schließlich das Gefühl von Weite bringt, mit der berührte Skomsvold auch während ihrer Lesung am Abend im Sanitätshaus zutiefst: „Dieses Buch kann man auch als Mann lesen“, so Otto Marburger von der Veranstaltergemeinschaft, der dem Buch während der Lesung seine melodische deutsche Stimme lieh.

„Das war norwegische Literatur in einer ganz besonderen Facette“, sagte Rikarde Riedesel, ebenfalls von der Veranstaltergemeinschaft, die die Lesung im ausverkauften Raum moderierte: „Hier wird ein Stück Leben porträtiert.“

Von Sarah Benscheidt


Siegener Zeitung (17.10.2019)
Internet: www.siegener-zeitung.de
Bildquelle: SZ-Foto von Sarah Benscheidt (sabe)

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