Erste Sätze ohne Hoffnung

Gleich zwei Autoren stellen ihre Werke bei der Literaturpflaster-Lesung im Abenteuerdorf vor – das ist selten. In beiden Romanen spielen Musik und Gefahr eine Rolle

Das Literaturpflaster besticht stets mit einer ganz persönlichen Atmosphäre, bei der man nach der Lesung mit den Autoren – wie hier mit Karin Nohr – ganz einfach noch ins Gespräch kommen kann. (Foto: Jens Gesper)

Wemlighausen. „Mein Leben ist misslungen.“ Der erste Satz, den Stian M. Landgaard beim „Literaturpflaster“ im Abenteuerdorf Wittgenstein liest, ist wenig hoffnungsvoll. „Tat das weh.“ Auch der erste Satz des ersten Kapitels aus Karin Nohrs Roman „Kieloben“, der hier vorgestellt wird, ist wenig erfreulich.

Zwei Autoren mit zwei Werken bei einer Literaturpflaster-Lesung – das ist selten. Aber die Wege der beiden Schriftsteller hatten sich für die „Kieloben“-Geschichte schon vorher gekreuzt. Die Deutsche brauchte für ihren fünften Roman verlässliche Informationen aus dem norwegischen Tromsø – und ein verwickelter Weg führte sie zu Stian Landgaard, der in der größten Stadt im Norden Norwegens geboren worden war und lebte. Dort spielte auch sein eigener erster Roman, der vor 13 Jahren in Norwegen erschien. Inzwischen wohnt er in Berlin. In Wemlighausen las er aus dem Manuskript seines zweiten Werks, das natürlich auch in Norwegen spielt, denn das skandinavische Land ist in diesem Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse und damit diesmal auch Grund und Boden des Berleburger Literaturpflasters.

Tiefe Einblicke in die Selbstzweifel

Und trotz der unerfreulich hoffnungslosen ersten Sätze war der Abend im Abenteuerdorf als Einrichtung des evangelischen Kirchenkreises Wittgenstein für die 30 Zuhörer ein ganz gelungener. Da war Stian Landgaard, der mit dem ersten Kapitel seines hoffentlich zweiten Romans, der in den nächsten ein, zwei Jahren möglicherweise auf den Markt kommt, tiefe Einblicke in die Selbstzweifel eines schreibblockierten Autors gab, der erfundenen Hauptperson des neuen Buchs. Und gleichzeitig ließ der Autor das Publikum auf Anfrage auch Anteil haben an seinen eigenen Empfindungen in einer ähnlich schwierigen Lebenssituation. Spannend war es, diese persönlichen Einblicke in das Seelenleben eines Schriftstellers zu bekommen Und der letzte Satz des ersten Kapitels von Stian Landgaard bei der Lesung machte definitiv ganz perfekt Lust auf mehr: „Ich habe mit dem Singen angefangen ... weil ich sterben sollte.“

„Tat das weh.“
Karin Nohr, Autorin, wählte diese drei Worte als die ersten in ihrem neuen Buch „Kieloben“

Auch im anderen Buch des Abends kam Musik im Zusammenhang mit Gefahr vor. Die Hauptdarstellerin aus Karin Nohrs Roman „Kieloben“ trifft am Anfang des ersten Kapitels beim Staubwischen ein dickes Gesangbuch. Inga befürchtet einen blauen Fleck, nichts Schlimmeres. Auf den nächsten knapp 200 Seiten wird sie sich aus ihrem deutschen Alltag auf eine Reise machen: in Raum und Zeit, ins nazi-besetzte Tromsø, als dort das deutsche Schlachtschiff „Tirpitz“ beschossen wurde und 1944 versank. Bei diesem etwas anderen Staubwischen in ihrer Familiengeschichte entdeckt Inga eine norwegische Halbschwester namens Mette. Karin Nohr hatte für den Abend in Wittgenstein sehr genau die Textstellen zusammengestellt, die sie vorlas. Hieraus puzzelte sich ein Umriss zusammen, der ebenfalls Lust auf mehr machte und der deutlich werden ließ, dass eine ausgebildete Psychotherapeutin diesen Roman geschrieben hatte, bei dem man viel zwischen den Zeilen denken kann und soll.

Dreimal steinernes Dankeschön

Karin Nohr, Stian Landgaard und Stefan Berk, Superintendent des Kirchenkreises, erhielten nach der Lesung für Arbeit und Ort aus den Händen von Ulla Belz vom Planungskomitee je einen dieser sagenumwobenen Literaturpflastersteine, die streng limitiert und nummeriert das Traditions-Dankeschön der Berleburger Veranstaltungsreihe sind.

Von Jens Gesper


WESTFALENPOST (08.10.2019)
Internet: www.wp.de/staedte/wittgenstein/
Bildquelle: Foto von Jens Gesper

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