Dazu gab es Geschichten von diesen Menschen. Von Peter aus Köln, mit dem Michael zwei Tag lang unterwegs war: Am ersten Tag erzählte der eine seine Lebensgeschichte, an dem nächsten der Andere. Von Liza aus Kalifornien, die nach einem Motorradunfall 21 Operationen über sich ergehen lassen musste und trotz Problemen beim Laufen unbedingt nach Santiago wollte. Von Silvia und Nuria aus Barcelona, die ihre geschwisterliche Beziehung klären wollten, stattdessen fand die eine in dem Belgier Michel einen neuen Mann auf dem Weg. Von Jesús, in spanisch-sprachigen Ländern tragen Männern diesen Vornamen auch heute, den Michael in der spartanischsten Herberge am Weg traf, von der Niederländerin Liliana, die zu ihm nach einem längeren Gespräch sagte: „Du kannst doch ein glücklicher Mensch sein.“ Die Kombinationen, in denen Michael Kaminski unterwegs war, wechselten, man verlor sich aus den Augen, fand sich wieder: Strecke und Ziel standen ja fest.
Aber auf den Bildern waren nicht nur Menschen, sondern auch Landschaften und Gebäude. Immer wieder Kathedralen und auch Getreidespeicher, die in Asturien anders aussehen als in Galizien, volle Strände und Gewerbegebiete direkt neben der Pilgerstrecke, es gab Aufnahmen von den Pyrenäen, die Michael Kaminski innerhalb von zwei Tagen überwand, von Eukalyptus-Wäldern, vom Hochland Meseta, vor dem der Referent warnte, weil man hier beim Pilgern kaum Schatten finden könne.
Solch praktische Tipps vom Eingeweihten gab es oft: Komme man auf dem Jakobsweg in eine große Stadt sei, dann sei es besser, in Hotel oder Pension zu schlafen, weil die Pilgerherbergen um 22 Uhr zumachten und man so nichts vom späten spanischen Leben mitbekomme, bei den Schuhen müsse man bedenken, dass man viel auf Asphalt unterwegs sei, freie Hunde am Weg seien eigentlich nicht gefährlich, die scharfen seien angekettet, es reichten zwei Garnituren Kleidung, so dass man jeden Tag wechseln und zwischendurch waschen kann, wenn er sein spanisches Fußball-Nationalteam-Trikot angehabt habe, sei er in den Orten schnell von Menschen angesprochen worden, weil er ja nicht spanisch aussehe. Michael Kaminski machte richtig Lust auf den Jakobsweg und wollte nicht so recht damit herausrücken, was es mit dem Pilgerschatten hinter der Kathedrale von Santiago auf sich hat, den man nur nachts sehen kann, auch beim geheimnisvollen Hühner-Wunder am Jakobsweg blieb er vage: „Das erzähle ich Ihnen ein anderes Mal.“ Man hatte den Eindruck, dass er schon ein bisschen Werbung machen wollte. Obwohl er voraussagte, dass man irgendwann bestimmt die eine schlimme Fragen stellen werde: Warum tue ich mir das eigentlich an? Doch voller Überzeugung gab er die Antwort, die für ihn nach 15 Jahren Pilgern feststand: Dieser Weg wird heilsam für dich sein!