Barbara Ewing las beim Literaturpflaster
aus "Die Seelenheilerin"

Gekonnt Zeitgeist eingefangen

Barbara Ewing (r.) hauchte ihren Figuren Leben ein, beim Bad Berleburger Literaturpflaster (neben Organisatorin Rikarde Riedesel). (SZ-Foto: Guido Schneider)

Lebendige Figuren

Bad Berleburg. (schn) Barbara Ewing saß am vergangenen Freitag auf der Richterbank des Bad Berleburger Amtsgerichts und hatte ihr Buch "Die Seelenheilerin" vor sich auf dem Tisch liegen. Die gebürtige Neuseeländerin, die in London lebt, ist nicht nur Autorin, sondern auch Schauspielerin, und diesen Teil ihrer Ausbildung konnte sie beim Literaturpflasters sehr gut gebrauchen. Barbara Ewing hauchte den Figuren ihres Romans beim Vortrag nämlich Leben ein.

Die Passagen, die sie vorstellte, hatten Sprachwitz, Leichtigkeit und waren im Vortrag von genau jenem Rhythmus getragen, den vielleicht nur der Autor selbst seinen Zeilen geben kann. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der geneigte Leser besser das Original lesen, oder noch besser, auf ein Hörbuch, eingesprochen von der Autorin selbst, hoffen sollte. Barbara Ewing, die die Rollen in ihrem Buch mit unterschiedlichen Stimmen las, war absolut hörenswert und zeigte, dass das Berleburger Literaturpflaster eine Topadresse für literarisch Interessierte ist.

Die deutsche Übersetzung, obwohl sicher nicht schlecht, kann wohl nicht mit dem englischen Original mithalten. Das beginnt schon beim Titel, "Die Seelenheilerin", der im Original "The Mesmerist" heißt. Der kommt dem Inhalt doch ein ganzes Stück näher, schließlich geht es um eine Frau, die als Schauspielerin in die Jahre gekommen ist, von einem Mann betrogen wurde und sich nun eine Lebensgrundlage als "Magnetiseurin" aufbaut. "Magnetisieren" war der Vorläufer der modernen Hypnosetherapie, und in der Zeit, bevor die Medizin wirksame Narkotika einsetzen konnte, oft der einzige Weg, Patienten bei Operationen die Schmerzen zu lindern. Die Methoden gehen auf den Arzt Franz Anton Mesmer zurück und standen schon bei ihrer Entstehung am Ende des 18. Jahrhunderts stark in der Kritik.

So benutzt auch Cordelia Preston ihr Talent als Schauspielerin, um ihren Patienten Lebensberatung in fast allen Lebenslagen zu geben. Erst mit der Zeit erkennt sie, dass sie diesen "animalischen Magnetismus", wie es Mesmer nannte, beherrscht, so wie schon ihre Tante, und aus dem Schauspiel werden nach und nach echte Behandlungen. Das ist der Kontext, in dem Barbara Ewing mit teils spitzer Feder die Lebenswirklichkeit des frühen viktorianischen Englands beschreibt. So kommt eine junge Frau zu Cordelia, weil sie an ihrem Verlobten eine "Missbildung" erkannt haben will.

Cordelia erkennt schnell, dass es sich bei dieser Missbildung ganz einfach um die sexuelle Erregung des Mannes gehandelt hat, die junge Frau aus der Oberschicht mit 18 Jahren aber kein Stück aufgeklärt ist. Als Cordelia ihr dies alles darlegt, ist die junge Frau empört und schockiert. Barbara Ewing schildert diese Szene mit feiner Ironie, die im englischen Text deutlich lebendiger ist als in der Übersetzung.

Der zweite Handlungsstrang ist die Beziehung Cordelias zu Lord Ellis, der ihr vorgaukelt, sie seien verheiratet, ihr aber dann die gemeinsamen Kinder nimmt. Eines Tages steht der Lord bei ihr auf der Schwelle und wird kurze Zeit später ermordet. Natürlich gerät Cordelia in Verdacht, denn sie war eine der letzten, die ihn lebend gesehen hat.

Ab etwa der Hälfte wird aus "Die Seelenheilerin" ein Krimi. Barbara Ewing hat sich in die Hintergründe des "Mesmerismus" und der Gesellschaft des frühen 19. Jahrhunderts gut eingearbeitet, das merkt man dem Buch an. Doch es entsteht auch der Eindruck, als könne sie sich am Ende nicht so richtig entscheiden, ob es ein historischer Roman, ein Krimi oder doch Frauenliteratur werden sollte. Am Ende ist es von allem etwas, aber nichts ganz.

Von Guido Schneider


Siegener Zeitung (08.10.2012)
Internet: www.siegener-zeitung.de
Bildquelle: SZ-Foto von Guido Schneider (schn)

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