Lesung von Linda Christanty im Café Wahl zum Abschluss des Literaturpflasters

Autorin beeindruckt
Untergrundarbeit in Essays aufgearbeitet

Die 45-jährige Autorin Linda Christanty ist gern in Bad Berleburg und genießt sogar Herbstgrau und fallendes Laub, das sie bis dato noch nicht erlebt hat. Dr. Gunnar Stange verbindet eine innige berufliche Verbindung mit ihr. (WP-Foto: Christiane Sandkuhl)

Bad Berleburg. Last – but not least erlebte das lese- und kulturhungrige Publikum gerade die letzte Lesung des Literaturpflasters 2015. Zum fünften Mal seit 2011 gab es Politisches, Historisches und Biografisches zwischen Blechen, Förmchen, Backpinseln, Schüsseln und Backofen in der Produktionsstube des Café Wahl.

Die fünfte Lesung der Reihe gestaltete die indonesische Essayistin und Journalistin Linda Christanty in Begleitung ihres Übersetzers und Verlegers Dr. Gunnar Stange. Bäcker Andreas Wahl ist immer wieder aufs Neue erfreut über die Internationalität im Traditionsbetrieb und begrüßte im Namen seiner Familie den Gast aus Jakarta mit fast lupenreinem Indonesisch.

Politik als Leidenschaft

Diesmal lag die Verantwortung der Veranstaltergemeinschaft in den Händen von Bettina Born, die mit Stolz betonen konnte, welch großer Wurf dem Literaturpflaster mit der Lesung von Linda Christanty gelungen ist, einer Frau, die derzeit in Deutschland herumgereicht wird wie "geschnitten Brot".

"Schreib ja nicht, dass wir Terroristen sind" ist eine Essay-Sammlung, die sie dem Berleburger Publikum vorgestellt hat. Politik, so bekennt sie, sei schon immer eine Leidenschaft von ihr gewesen. Schließlich habe sie als kleines Mädchen die Diskussionen ums innerpolitische Treiben der Zeit nach dem verheerenden Massaker 1965 und 1966 in der elterlichen Küche miterlebt. Das habe sie intensiv geprägt und aus ihr einen agilen, politisch und sozial denkenden Menschen werden lassen. Ihr fünftes Buch gibt tiefe Einblicke in das "wie sie wurde, was sie heute ist".

Sie erläutert in diesen Essays die Interviews mit Vertretern unterschiedlicher religiöser, sozialer und politischer Gruppierungen von Banda Aceh am nordwestlichen Zipfel Indonesiens bis aufs südostasiatische Festland. Linda Christanty ist eine mutige und hochmotivierte Frau, die in diesem Essayband ihre eigenen Erfahrungen während der Untergrundarbeit gegen das Suharto-Regime verarbeitet. Ab 1994 hat sie gegen die Willkür und die Unmenschlichkeit gekämpft, eine Menge an Demonstrationen organisiert und schließlich mit für den Sturz Suhartos 1998 gesorgt.

Biografische Anklänge

Ihre Essays tragen teils biografische Züge aus der eigenen Familiengeschichte. Warum eigentlich heißt sie Linda Christanty? Eine Muslimin mit diesem Namen lässt die Vermutung zu, sie ist Konvertitin. Sie klärt auf subtile Weise auf und hat so manchen Lacher auf ihrer Seite. Bei der Namensgebung stand die Tennislegende Chris Evert-Lloyd und die Tochter des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Lindon B. Johnson Pate. Sie selbst befindet: "Ich fühle mich mit diesem Namen cool und pudelwohl." In der Familie gibt es natürlich erwartungsgemäß eine große Anzahl Namen arabischer Herkunft, so wie es sich halt für einen gläubigen Muslimen gehört. Dennoch deckten die Familienmitglieder nicht die typische Lebensart eines arabischen Muslimen ab. Linda Christanty lüftet "Geheimnisse" seien sie nun völkisch, ethnisch, religiös, kommunistisch, nationalistisch oder gar demokratisch. Sie gibt Gruppierungen eine Stimme, Menschen im "Untergrund" einen Namen. Mit provozierender Erzählweise rüttelt sie an Verkrustungen der Gesellschaft und weiß, dass sich die alten Eliten des Landes bis heute an der Macht halten. Die Politisierung von Religion ist ein wichtiger Aspekt ihrer Betrachtungen.

Viele Auszeichnungen

Linda Christanty wurde mannigfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem "Southeast Asian Writers Award". Sie ist die am meisten preisgekrönte Autorin des Landes. "Ich will schreiben, bis ich sterbe," bekennt sie und weiß, dass ihr scharfsinniger Blick hinter religiöse und politische Kulissen vieles bewegt. Die eigenen Erlebnisse, Emotionalität belegt sie mit fiktiven Erzählungen. Reportagen mag sie nicht bewerten, die Fakten sollen hier für sich sprechen.

Linda Christanty und natürlich auch Dr. Gunnar Stange ernteten großen Beifall für eine Sicht, für Einblicke und Ausblicke, die den Menschen in Wittgenstein bis dahin unbekannt oder gar fremd waren.

Von Christiane Sandkuhl


3 FRAGEN
"Indonesien war eine Herausforderung"

Das 22. Literaturpflaster in Bad Berleburg ist im Punkto Lesungen beendet, es folgen noch ein Kochkurs und eine Multivisionsshow. Rikarde Riedesel zieht Bilanz.

1 Wie sah die Kooperation in der Veranstaltergemeinschaft aus?

Ohne die Vielfalt der Veranstaltergemeinschaft und des Organisationsteams wäre das Literaturpflaster nicht das Literaturpflaster. Die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte zum jeweiligen Gastland entstehen aus dieser Grundkonstellation und sind ein Garant dafür, die Kultur des Gastlandes in seinen unterschiedlichen Facetten zu präsentieren. Praktisch sieht das so aus, dass regelmäßige Angebote bereits im Vorfeld von einem festen Ansprechpartner vorbereitet werden, wie der Kochkurs oder die Märchen über die VHS oder ein Theaterstück von der Kulturgemeinde. Dann kommen aber auch häufig persönliche Kontakte zum Tragen und dann entdeckt man immer wieder, dass das Gastland eigentlich vor der eigenen Haustür zu finden ist, wie in diesem Jahr der Vortrag von Prof. Scholz und die Ausstellung mit Exponaten von Marie-Louise Kemsies und Fotos von Klaus Werner Friedrich. Die Organisation dann auf mehrere Schultern zu verteilen ist sehr hilfreich. So gelingt es auch immer, die Veranstaltungsreihe und vor allem die Lesungen persönlich zu halten. Die Autoren fühlen sich wohl in Bad Berleburg und dies springt bei den Lesungen auf das Publikum über.

2 Wie bilanzieren Sie die Traditionsreihe "Literaturpflaster" mit dem exotischen Gastland Indonesien?

Indonesien war eine Herausforderung. Das Inselreich ist für viele ein Urlaubsland, doch literarisch und kulturell eher ein weißes Blatt gewesen. Die Annäherung ist gelungen, Neugierde ist geweckt. Mit der enormen medialen Präsenz der Autoren zur Buchmesse waren die Besucherzahlen des Literaturpflasters gut. Doch Indonesien ist nicht Island, um es salopp zu formulieren. Doch diesen Anspruch will auch keiner erheben. In den Unterschieden der Gastländer liegt die Spannung und das Vergnügen, die Kultur und Literatur kennen zu lernen.

3 2016 sind die Niederlande und Flandern Ehrengäste der Buchmesse und somit auch des 23. Literaturpflasters.

Werden aktuell schon Kontakte zu Verlagen und Autoren geknüpft? Die Vorbereitungen zum nächsten Gastland laufen eigentlich immer schon parallel zur aktuellen Veranstaltungsreihe. Auf der Buchmesse trete ich mit den potentiellen Verlagen in Kontakt und nicht selten überlegt auch das Publikum schon, was es denn wohl im nächsten Jahr zu Essen oder zu Lesen gibt. Niederlande und Flandern, also ein Sprachraum, kein einzelnes Land, das Organisationsteam und die Veranstaltergemeinschaft freuen sich schon.

Von Christiane Sandkuhl


WESTFALENPOST (21.10.2015)
Internet: www.derwesten.de/staedte/bad-berleburg/
Bildquelle: WP-Foto von Christiane Sandkuhl

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