Yrsa Sigurðardóttir
stellte beim Berleburger Literaturpflaster
ihr neues Buch "Geisterfjord" vor

Diesseits und jenseits des Fjords

Yrsa Sigurðardóttir (l.) las aus ihrem neuen Buch 'Geisterfjord' in der voll besetzten Berleburger Schloss-Schänke. Mit auf dem Podium: Kustodin Rikarde Riedesel (M.) und die 'deutsche Stimme des Romans', Monika Kuhli. (SZ-Foto: Guido Schneider)

Bad Berleburg. (schn) Die isländische Autorin stellte ihren neuen Krimi vor und erklärte, warum es in ihrer Heimat sooo viele Schreiber und Leser gibt.

"Es ist ein Witz unter isländischen Autoren: Wenn du in dieser Woche in einem deutschen Zug sitzt und dir ein anderer entgegenkommt, dann winke, denn im anderen Zug sitzt auch ein isländischer Autor." Yrsa Sigurðardóttir hat Sinn für Humor, auch wenn sie Kriminalromane schreibt. Sie ist eine von 200 Schriftstellern, die auf der Insel im Nordatlantik leben und arbeiten, bei insgesamt etwas mehr als 300 000 Einwohnern. Zum Vergleich: Siegen mit rund 100 000 Einwohnern müsste etwa 70 Autoren vorweisen können.

Donnerstags und im Juli kein Fernsehen!

Warum in Island so viel geschrieben und auch gelesen wird, wollten da die Besucher des Berleburger Literaturpflasters natürlich am vergangenen Montagabend wissen. Die etwas kuriose Antwort: Es liegt am Fernsehen. Bis in die 1980er-Jahre hinein war man beim Personal des isländischen Fernsehens sehr sparsam, und da die wenigen Mitarbeiter ja auch Anrecht auf einen freien Tag in der Woche und auf Sommerferien haben, gab es donnerstags und im Juli kein Programm. In der Folge hatten die Isländer viel Zeit zum Lesen und Schreiben. Yrsa Sigurðardóttir kam allerdings nicht über diesen Weg zur schreibenden Zunft, sondern weil sie gute Kinderbücher für ihren Sohn haben wollte. Die damals verfügbaren skandinavischen Kinderbücher seien ihr zu bedrückend gewesen, sagte sie, das habe sie ihrem damals Achtjährigen nicht zumuten wollen. Als sie dann begann, Bücher für Erwachsene zu schreiben, entschied sie sich, diese so zu gestalten, wie sie selbst gerne Bücher lesen würde.

Geister, Übersinnliches, paranomale Phänomene

Dass ihr Konzept aufgegangen ist, zeigt sich an ihrer Einladung nach Bad Berleburg und zur Buchmesse nach Frankfurt. Ihre Fangemeinde hat sie sich mit bisher fünf Romanen um die Anwältin Dora Gudmundsdottir erschlossen. In ihrem neuesten Buch allerdings wagt sie sich in ein etwas anderes Genre. Zwar spielt auch hier eine kriminalistische Handlung eine Rolle, aber es ist eben nur ein Teil der Geschichte. Es geht um Geister, paranormale Phänomene, den Glauben an Übersinnliches, alles verpackt in zwei Handlungsstränge, die nach und nach immer enger miteinander verwoben werden. Auf der einen Seite stehen da Katín, Líf und Gardar, die in dem verlassenen Ort Hesteyri ein Gästehaus eröffnen wollen. Das Dorf kann man nur mit dem Boot erreichen, vor Jahren sind die Bewohner weggezogen, nur Wanderer kommen noch im Sommer hierher. Im Winter aber geht nach Hesteyri nur, wer es wirklich muss.

Spannend: Mystery und Thriller in einem

Die drei jungen Leute sind von einem Schicksalsschlag (Lífs Mann ist verstorben) und der Wirtschaftskrise (Gardar ist seit acht Monaten arbeitslos) geschlagen und versuchen den Neuanfang. Auf der anderen Seite des Fjords kämpft der Psychologe Freyr mit den Schatten seiner Vergangenheit. Sein Sohn ist spurlos verschwunden, darauf seine Ehe zerbrochen, und er hat sich in die Westfjorde zurückgezogen, wo er als Arzt arbeitet. Die Polizistin Dagny bittet ihn in einem Fall um ein Gutachten, er soll sich einen verwüsteten Kindergarten ansehen. Nach und nach geschehen immer mehr unerklärliche Dinge. Menschen die er nicht kennen kann, haben Botschaften für ihn, sein Sohn Benni erscheint seiner Frau im Traum. Die beiden Handlungen beginnen, miteinander in Verbindung zu treten, und Benni rückt mehr und mehr in den Mittelpunkt. Für Fans von Mystery-Romanen und Thrillern wird sich hier sicher viel Lesenswertes finden.
Manches ist echt

Die Schauplätze der Handlung gibt es tatsächlich. Yrsa Sigurðardóttir fand das Dorf Hesteyri, dass tatsächlich von den Bewohnern aus Perspektivlosigkeit verlassen wurde. Auch die Geschichte des verschwunden Jungen hat einen realen Hintergrund. Vermisste Kinder sind auf der Insel Island mit den wenigen Einwohnern eine Seltenheit.

Von Guido Schneider


Siegener Zeitung (12.10.2011)
Internet: www.siegener-zeitung.de
Bildquelle: SZ-Foto von Guido Schneider (schn)

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