In 80 Minuten quer durch China

Wolfgang Stolzlechner unterhielt sich am Dienstagabend auch nach dem Literaturpflaster-Multimedia-Vortrag noch gern mit Besuchern über China. (SZ-Foto: Jens Gesper)

Zu der Auftaktveranstaltung des Literaturpflasters kamen 70 Zuhörer ins JAG

Wolfgang Stolzlechner war auf dem Land und in der Stadt - und sah eine grösser werdende Kluft.

Bad Berleburg. (jg) Als vor 136 Jahren Jules Vernes Roman "In 80 Tagen um die Welt" erschien, bezeichnete das ein sehr ehrgeiziges, letztendlich aber kaum zu schaffendes Arbeitsprogramm. Ungefähr das Gleiche gab es vorgestern Abend in der Aula des Berleburger Johannes-Althusius-Gymnasiums. Hier ging es in 80 Minuten einmal quer durch China. Mit dem Multivisions-Vortrag "Vom Bauernstaat zur Weltmacht" eröffnete Wolfgang Stolzlechner das Literaturpflaster, das in diesem Jahr - analog zur Frankfurter Buchmesse - das asiatische Milliardenreich in den Mittelpunkt stellt.

Eine schöne Tradition ist es mittlerweile, dass sich die Berleburger auf dem Literaturpflaster dem Buchmessen-Gastland nicht nur bei Schriftsteller-Lesungen nähern, sondern auch durch Vorträge in Wort und Bild sowie über die Kunst und durch die Küche das Land erkunden. Bei Wolfgang Stolzlechner war ein Teil der gezeigten Bilder sogar bewegt. Einige Videos illustrierten das Erzählte. Dass er gelernter Diplom-Pädagoge ist, merkte man dann gleich an dem Einstieg: Mit einer Karte, verschiedenen Fakten und Statistiken setzte er zunächst einmal das riesige Land ins Verhältnis zu Europa und Deutschland.

Das machte er anschließend auch in seinem weiteren Vortrag. Dieser war angelegt als Rundreise im dichter besiedelten Osten des Landes. Etappenziele waren Shanghai, Peking, Datong, Xi'an, Yichang, Chongqing, Macao und schließlich Hongkong. Unterwegs war Wolfgang Stolzlechner dabei vornehmlich mit der Bahn auf Schienen sowie mit dem Schiff auf dem Jangtse und auf dem Li-Fluss. Wobei allein die Stunden-Angaben der Zugfahrten verdeutlichten, um was für ein Riesenland es sich bei China handeln muss.

Und auch den allergrößten Unterschied im Land beleuchtete Wolfgang Stolzlechner in seinem Vortrag. Die boomenden Städte voller Glitzer und Kapitalismus, voller Hochäuser und Hightech zum einen, zum anderen das bitterarme Leben auf dem Land mit einer Reisernte, die allein mit mittelalterlichen Gerätschaften, Ochsen und viel Plackerei, aber ganz ohne Maschinisierung erledigt wurde. Dieses Auseinanderdriften der Gesellschafts-Teile sah Wolfgang Stolzlechner als deutliches Problem, doch ansonsten hielt er sich - leider - mit seiner eigenen Meinung zumeist sehr zurück. Dabei hätte er bestimmt mehr Persönliches zu bieten gehabt: Seit seinem ersten Besuch in 2006 sei er mittlerweile elfmal in China gewesen. Ein zweites Problem gab es, dass Wolfgang Stolzlechner kritisierte: den Drei-Schluchten-Staudamm. Aber obwohl auch hier die Kritik fair und eher zahm blieb, machte sich der Referent im Nachhinein Gedanken, ob er hier vielleicht zuviel eigene Meinung in den Vertrag habe einfließen lassen. Wobei das ohnehin passierte. Etwa wenn er ein Bild mit blauem Himmel über Peking zeigte. Das sei ein Novum gewesen, zu danken allein den Umwelt-Bemühungen für die Olympischen Spiele. Denn allgemein sei die Luft in China sehr schlecht. Selbst er, der nicht zu Atemproblemen neige, habe diese immer wieder unter den Smog-Glocken dort verspürt.

Trotz einer relativen Distanziertheit des Referenten kam man dennoch in Tuchfühlung an China und seine Menschen heran. Etwa wenn Wolfgang Stolzlechner von seiner Bahnfahrt in der dritten oder vierten Klasse erzählte, wo es natürlich keine Mülleimer gab, was dazu führte, dass jeder allen Abfall einfach fallen ließ, den Foto-Beweis gab es dazu. Auch ein anderes Gerücht konnte klar bestätigt werden: In China werden Hunde gegessen.

Der Referent hatte eine Speisekarte fotografiert, die ein Pfund geschmortes Hundefleisch für 35 Yuan, etwa 3,50 Euro, anbot. Außerdem gab es Schildkröte, Schlange und Ratte. Sogar die künftigen Menüs hatte Wolfgang Stolzlechner in den Käfigen der Speisekammer fotografiert: Doch nicht nur auf Tiere, sondern auch immer wieder auf Landschaften, Bauwerke und Menschen hatte er seine Kamera gerichtet. Und wenn man dem China-Fahnen schwenkenden Mädchen auf dem Platz des Himmlischen Friedens oder dem kleinen Jungen auf dem Eggen-ähnlichen Gerät auf dem Reis-Feld in die Augen schaute, dann war man diesen fremden Menschen auf einmal ganz nah.

Und so konnte man nach einer Stunde und 20 Minuten feststellen: Die Mission "In 80 Minuten einmal quer durch China" war geglückt. Auch wenn Tibet etwa ausgespart blieb. Der Globetrotter Wolfgang Stolzlechner war sich selbst nicht ganz sicher, ob er wirklich nach Tibet reisen wolle, auch weil er ein bisschen Angst vor dem habe, was die Chinesen mit der dortigen Kultur inzwischen gemacht hätten. Dass Tibet überhaupt erwähnt wurde, lag auch an einem der 70 Besucher der Berleburger Veranstaltung. Der saß nämlich in seine Tibet-Fahne gehüllt in der ersten Reihe und lauschte dem Vortrag.

Von Jens Gesper


Siegener Zeitung (17.09.2009)
SZ-Foto: Jens Gesper (jg)

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