Eine Ehre für die Residenzstadt: Chinesischer Schriftsteller Li Er startet hier Marathonlesereise

Eine Romanfigur, die Leere und Sinnlosigkeit vermittelt

Bad Berleburg. (cw) Li Er wirkt zerbrechlich. Ein schmächtiger, blasser Mann, der durch seine Brille hindurch ein wenig prüfend in die Runde der zahlreichen Literaturfreunde in der Berleburger Stadtbücherei schaut.

Kein leichtes Unterfangen und dennoch sprachlich ausgefeilte Kooperation und mühelose Übersetzung der 'Koloratur'-Lesung: Sinologin Peggy Kames (l.), Schriftsteller Li Er und Rikarde Riedesel (Stadt Bad Berleburg). (WP-Foto: Christiane Weinhold)

Der Schriftsteller ist offizieller Gast der in der kommenden Woche stattfindenden Frankfurter Buchmesse und die Odebornstadt ist Startpunkt seiner Marathonlesereise durch die Republik. Eine Ehre für die Residenzstadt und mit Verdienst der auf diesem Sektor unermüdlich arbeitenden Veranstaltergemeinschaft "Literaturpflaster".

Der in Peking lebende 43-jährige Li Er wurde in der mittelchinesischen Provinz Henan geboren und studierte in Shanghai Sinologie. Nach seinen Studien ging er zunächst in seine Heimat um dort an einer Universität Schreiben zu lehren und um sich dann später selbst nur noch schriftstellerisch zu betätigen. In seinem Heimatland hat er bisher unzählige Essays, Erzählungen und Aufsätze veröffentlicht. Auch die beiden Romane "Der Granatapfelbaum, der Kirschen trägt" und "Koloratur" gehören zu seinem Werk. Letzterer wurde den "chinahungrigen" Bücherfreunden in einer Lesung, die durch die Sinologin Peggy Kames übersetzt und durch Berleburgs Kustodin Rikarde Riedesel inhaltlich kommentiert wurde, vom Verfasser selbst vorgestellt.

Im Mittelpunkt seines zweiten Romans, ein dreiteiliges Werk, steht der chinesische Intellektuelle Ge Ren, der als Poet an seiner Autobiografie "Der wandelnde Schatten" schreibt. Der Protagonist kommt nie selbst zu Wort. Seine Person wird in verschiedenen Epochen, den 40-er und 70-er Jahren, sowie der Jahrtausendwende von unterschiedlichen Beobachtern umkreist und beschrieben. Die Vielfalt der Menschen, die über ihn aussagen ist teils widersprüchlich und kreuzen sich in Quellen, Aussagen und Zitaten über ihn. Die Figur Ge Ren wird umrissen als zu verfolgender und zu eliminierender Literat, unklare Beschreibungen seiner Lebensziele genannt - und dies hat Li Er mit Bedacht gewählt. Er lässt unterschiedliche Sprachmodi und Jargons angepasst an die jeweilige Epoche laut werden. Nicht das Nationalepos erhält hier den farbigen bis trüben Anstrich, eher das Gegenteil verschwimmt hier als Person im Labyrinth der zeitgeschichtlichen Beziehungen. Li Ers Romanfigur Ge Ren soll Leere und Sinnlosigkeit vermitteln. Er lehnt seine sprachlich exzellent getroffenen Beobachtungen an den als verschroben geltenden Journalisten Qu Qiubai aus der Gründungszeit der KP Chinas, der aus unwirschen Gründen ausgeschlossen und schließlich liquidiert wurde.

In Peking traf Li Er Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem Gespräch. Ihr ließ der Autor seinen Roman "Der Granatapfelbaum" zukommen. Sie mag sein Werk. Doch Li Er genießt nicht nur die Gunst der Kanzlerin, sondern wurde auch mit dem "Medienpreis für chinesische Literatur" ausgezeichnet. Der Roman "Koloratur", der einerseits den musikalischen Begriff für die schnellen Gesangsabfolge umreißt, andererseits das Verb 'etwas schönreden' wiedergibt, verkaufte sich in China 150.000 Mal und wird monatlich mit weiteren 1.000 Verkäufen beziffert. An den chinesischen Oberschulen gehört das erstmals 2002 publizierte Werk in die Lehrpläne. Mit seinen Schriften hat Li Er insbesondere bei der jungen Generation Chinas großen Erfolg. Eine Vielzahl der 14 bis 17-Jährigen setzt ihr Taschengeld in seine Bücher um.

Auch auf dem internationalen Buchmarkt hat der Sinologe schon gut Fuß gefasst und wurde mit "Koloratur" auf Japanisch, Koreanisch (hier ist er augenblicklich meistgelesener ausländischer Autor), Italienisch, Französisch, Englisch und natürlich Deutsch übersetzt.

Der Tagesspiegel titelte jüngst zu seiner "Koloratur": "Li Er gilt als vielversprechender Kandidat für den Literaturnobelpreis." Es ist keine Altherrenauszeichnung, wie das Beispiel der deutschen Autorin Herta Müller zeigt. Vielleicht kann das Berleburger "Literaturpflaster" im nächsten Jahr schon sagen: "Bei uns war ein Literaturnobelpreisträger zu Gast!"

Von Christiane Weinhold


WESTFALENPOST (10.10.2009)
WP-Foto: Christiane Weinhold (cw)

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