"Gerettete Worte" -
Reise zu Chinas verlorener Generation

Glücklich über so viel positive Publikumsresonanz bei der ersten Lesung zu dem über 600 Seiten umfassenden Monumentalwerk 'Gerettete Worte': Autorin Xinran, Schauspielerin Julia Jäger und NDR-Moderatorin Margarete von Schwarzkopf (v. l.). (WP-Foto: Christiane Weinhold)

Literaturpflaster: Autorin aus dem Reich der Mitte zieht das Publikum in ihren Bann

Bad Berleburg. (cw) Literarisch betrachtet ist Berleburg derzeit der Nabel der Welt. Hat sich doch die Veranstaltungsreihe "Literaturpflaster" in den vergangenen 16 Jahren zum absoluten Publikumsmagnet gemausert.

Jüngst erfuhren nun Betreiber und Team der "Schloss-Schänke" was Platzangst wirklich bedeutet. Die Veranstaltergemeinschaft mit Stadt Bad Berleburg, Kulturgemeinde Bad Berleburg e.V., Sparkasse Wittgenstein, Bad Berleburg Markt und Tourismus e.V. und der Volkshochschule des Kreises Siegen-Wittgenstein hat mit der Einladung zur Lesung der chinesischen Autorin Xinran Xue (*1958 in Peking) mit einem Ansturm gerechnet, dennoch reichte die Bestuhlung in und ums Lokal kaum aus. Bettina Born von Markt und Tourismus, beziehungsweise der Kulturgemeinde, zeigte sich darüber völlig euphorisch.

Zu etwa 80 Prozent fanden Frauen den Weg zur Autorin Xinran (die Autorin benutzt lediglich ihren Vornamen), ihrer deutschen Stimme, der Schauspielerin Julia Jäger, bekannt aus unterschiedlichen Fernsehserien, besonders aber als Gattin des venezianischen Commissarios, Paola Brunetti und der NDR-Redakteurin Margarete von Schwarzkopf.

Die gesamte Lesung aus dem noch gar nicht offiziell erschienenen fünften Werk "Gerettete Worte - Reise zu Chinas verlorener Generation" erwies sich in seiner Ganzheit als komplett illustres Unterfangen. Nicht, dass die Lesehungrigen Zuhörer gleich zwei Premieren genossen, einerseits war es Xinrans erste Lesung im deutschsprachigen Raum, andererseits hatte das Berleburger Publikum erstmals die Gelegenheit das Werk zu erwerben, das im Buchhandel am 5. Oktober in den Verkaufsregalen steht. Aber: Xinran vermittelte ein bis dato restlos unbekanntes China. Sie suchte 50 Menschen im ganzen Land zwischen 50 und 70 Jahren auf, befragte sie zu ihrem Leben, zu ihren Umständen, die sie das werden ließen, was sie heutzutage verkörpern.

Auf ihrer Interviewreise, die alles in allem geschätzte 20 Jahre dauerte, lernte sie die herzergreifendsten Schicksale kennen. Sie widmete sich Männern und Frauen auf dem chinesischen Land, die "keine Stimme haben", Wesen die im China der Kulturrevolution Maos von geringer bis gar keiner Bedeutung waren. Xinran erfuhr Schockierendes, und stellenweise stockte in ihren Erlebnisberichten die Stimme. Hatte sie einst ihre Mutter, als Frau kennengelernt, mehr nicht: "Ich hatte ein Leben mit ihr, aber keine Liebe!" Jahrzehntelang waren für die inzwischen zur Journalistin ausgebildeten Xinran ihre Mutter, die Gefühlskälte, ein Buch mit sieben Siegeln. Unverständlich. Traurig, aber voller Elan und getrieben von innerer Neugier, machte sich die junge Frau an ihre Arbeit. Sie stieß auf einen als Straßenräuber auf der Seidenstraßen sein Unwesen treibenden Mann, erlangte dabei Kenntnisse über einen, ja, Unschuldigen, der aus Not heraus handelte, begriff die Umstände seines kriminellen Handelns.

Mit Julia Jägers geschmeidiger Lesung bekam die "Flickschusterin" eine Stimme, da wurde auf einmal eine quasi nichtexistente chinesische Randfigur zum Mittelpunkt der Welt. Einfühlsam breitete die einstige DDR-Bürgerin Jäger das Leben der alten Frau aus. "Auch ich bin in einem sozialistischen Staat aufgewachsen, doch diese Hintergründe machen mich still; bedrückt nehme ich diese authentischen Berichte zur Kenntnis und verneige mich vor der Freiheit, die wir hier heute in Deutschland genießen dürfen."

Xinran versteht nun, nachdem sie die Einblicke, teils mit sehr intimen Details gewährt bekam, wie sich Menschenschicksale fügen, warum Charaktere so und nicht anders geprägt sind. Sie verweist auf das China des Kommunismus und holt weit aus bis in die religiösen Hinterstuben, deren Ursprünge nicht in China zu suchen sind, allenfalls adaptiert vom Christentum, dem Buddhismus oder auch dem Islam. An diesen Stellen bekommen die Glaubensrichtungen durch chinesische, heidnische Traditionen ihre Färbung.

Im Anschluss an die Lesung nutzten zahlreiche Zuhörer die Gelegenheit zum fruchtbaren Austausch mit der Autorin, Schauspielerin und Moderatorin.

Von Christiane Weinhold


WESTFALENPOST (23.09.2009)
WP-Foto: Christiane Weinhold (cw)

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