Sehnsucht einer Algerierin

Im Rahmen des Literaturpflasters liest Kaouther Adimi aus ihrem neuen Roman "Steine in meiner Hand". Ein Zwiespalt zwischen Identitäten und Kulturen

In der Schlossschänke liest Kaouther Adimi (rechts) aus ihrem neu erschienenen Buch 'Steine in meiner Hand'. Übersetzerin Regina Keil Sagawe (Mitte) und Otto Marburger moderieren den Abend. (WP-Foto: Art.ur)

Bad Berleburg. Kaouther Adimi kommt ursprünglich aus Algerien, lebt seit 2009 in Paris und ist aktuell auf internationaler Bühne unterwegs. Grund dafür ist ihr neu erschienener Roman "Steine in meiner Hand", den sie jetzt im Rahmen des Berleburger Literaturpflasters in der Schlossschänke vorgestellt hat. Mit ihr saßen Otto Marburger und die Übersetzerin Regina Keil-Sagawe auf dem Podium. Das Trio wirkte lebendig und humorvoll, pointiert und gestenreich erwiderte die junge Autorin die Fragen und ließ Regina Keil-Sagawe ein ums andere Mal schmunzeln.

"In meinem Büro. Nur in dieser Stille kann ich konzentriert arbeiten."
Kaouther Adimi, Autorin, auf die Frage, wo sie ihre Bücher schreibt

Warum Adimi auf Französisch und nicht auf Arabisch – ihrer Muttersprache – schreibe? Als Vierjährige wurde sie von ihren Eltern mit nach Paris genommen und besuchte dort bis zu ihrem achten Lebensjahr französische Schulen, So Adimi. Es sei sicher auch für einen Linkshänder schwer, wenn er lange zum Rechtshänder umerzogen wurde, wieder mit links zu schreiben. So sei es bei ihr mit der französischen Sprache. Später habe sie dann auch in Frankreich studiert. Daher sei es für sie nur selbstverständlich auf Französisch zu schreiben.

Ein kleiner Einblick in ihr neuestes Werk:

Das Vorwort

"Aus dem Polizeibericht. Eine Dreißigjährige ist wegen Mordes an ihrer Nachbarin verhaftet worden. Diese habe sie verhöhnt, indem sie ihr erklärte, sie werde nie im Leben einen Mann finden, der verrückt genug sei, sie zu heiraten. Die Mörderin habe mehrfach auf die alte Dame eingeschlagen und sie zuletzt mit ihrem Gürtel erwürgt, weil sie noch ein wenig geatmet habe. Ich hätte es genauso gemacht!"

Literaturpflasterstein

Das Dilemma

Dieses Vorwort führt ein in die Nöte der Protagonistin. Sie ist 29 Jahre alt – und in Algerien muss Frau oder Mann bis zum 30. Lebensjahr verheiratet sein. Das Stigma des Unverheiratetseins ist schier unerträglich und eine lebensbedrohende Not für die Protagonistin. In der Redaktion des Verlags, für den sie arbeitet, versucht sie das Dilemma vor ihren Kollegen zu verbergen.

So erzählt sie dort phantasievolle Erlebnisse aus ihrer Kindheit, die sie mit allerlei feinem Witz ausschmückt und denkt: "Die Franzosen müssen nicht alles wissen". Die Sehnsucht, die sie als Algerierin hat, nach Selbstverwirklichung als Frau, mit Besitz und Wohlstand und Achtung als Mensch – die lässt sich nicht verwirklichen. Sie hat es in Frankreich vergleichsweise gut gegenüber ihren Landsleuten in Algerien.

Autobiografische Elemente

Der Plot ist natürlich autobiografisch gefärbt. Kaouther Adimi schildert eine Begegnung mit Menschen am Flughafen in Algier, die erkennen lässt, wie hoch die Würde des Einzelnen angesiedelt ist. Sie wagt es einem Polizisten ehrlich zu antworten auf dessen Frage, wie es ihr gehe; sie schildert, wie sie die Blicke "geiler" Männer verfolgen und wie sie die Bilder des Präsidenten, die sie überall begleiten, nicht ertragen kann. Die Reaktion kommt prompt: Der Polizist beauftragt eine Polizistin mit einer Leibesvisitation. Diese "Schlampe" – so Kaouther Adimi – greift ihr ungeniert an die Brust und in andere Regionen des Körpers und scheint sich dabei wohl zu fühlen.

Auf die Frage einer Frau aus dem Publikum, ob das nur der Frau im Roman passiere oder ob das wirklich passiert sei, antwortet Frau Adimi, dass das leider sehr wohl die Realität und ihr so passiert sei.

Auf die Frage, wo sie ihre Bücher schreibt, antwortet Adimi: "In der Zurückgezogenheit meines Büros. Nur in dieser Stille kann ich konzentriert arbeiten."

Die Vorbilder

Ihre großen Literatur-Vorbilder sind Virginia Woolf und Samuel Beckett. Der Titel "Des pierres dans ma poche" wurde in Anlehnung an Virginia Woolfs Vita gewählt; diese hatte sich mit Steinen in ihrer Manteltasche als Ballast im Fluss ertränkt. Parallelen auch im Kampf einer Frau, die sich in einer Männergesellschaft und aus deren ökonomischer Abhängigkeit befreien wollte.

Regina Keil-Sagawe beschrieb ihre Diskussionen mit der Autorin bezüglich der Änderung des Titels von "Steine in der Tasche" zu "Steine in der Hand". Sie machte der Autorin bewusst, dass "Steine in der Tasche" in der Deutschen Sprache nicht eindeutig beschreiben, was für eine Art Tasche gemeint sei. So könne die Hand, die mit den Steinen spielt, dies in einer Tasche tun.

Von Art.ur

Über die Autorin

  • Kaouther Adimi, geboren 1986 in Algier, lebt und arbeitet seit 2009 in Paris.
  • Ihr erster Roman, "Des Ballerines de papicha", erschien 2010 in Algerien und wurde 2011 unter dem Titel "L’Envers des autres" auch beim französischen Verlag "Actes Sud" aufgelegt; die Autorin wurde dafür mit dem "Prix littéraire de la vocation" und dem "Prix littéraire de l’Association France-Algérie" ausgezeichnet.
  • Inzwischen hat Kaouther Adimi ihren dritten Roman veröffentlicht.

WESTFALENPOST (12.10.2017)
Internet: www.wp.de/staedte/wittgenstein/
Bildquelle: WP-Foto von Art.ur

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