Mit der Zuversicht eines Drachentöters
Siegfred Deduro wollte auf dem Literaturpflaster weiter Hoffnung für die Philippinen haben
Bad Berleburg. Wenn sich alljährlich die jeweiligen Gastländer bei der Frankfurter Buchmesse präsentieren, dann machen sie das mit einem lächelnden Gesicht, im Feiertags-Gewand und mit ganz vielen Büchern. Das ist verständlich, das ist in Ordnung, so machen das Profis. Aber das Berleburger Literaturpflaster erlebt in diesem Jahr bereits seine 32. Auflage - und in seinem Vorbereitungs-Team sitzen ebenfalls Fachleute. Sie bemühen sich übers geschriebene Wort hinaus mit einem neugierigen, dabei auch kritischen Blick den Ländern oder Regionen zu nähern: kulinarisch, musikalisch, auch schon im Theater, in diesem Jahr wieder im Kino - und in Vorträgen mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten. Bei der zweiten Veranstaltung zum Gastland „Philippinen“ ging es jetzt im Dritten Ort, der Berleburger Bücherei der Zukunft, um die „Geschichte der Philippinen: Koloniales Erbe - Widerstand - Wege zu Unabhängigkeit und Demokratie“.
Gut 40 Leute waren gekommen, um Siegfred Deduro und Jörg Schwieger zuzuhören. Der Zweitgenannte setzte mit seinen Betrachtungen in der Frühzeit ein, die 1946 erreichte philippinische Unabhängigkeit markierte in seinen Ausführungen den Schlusspunkt. „Mehrere Jahrtausende in einer halben Stunde zusammenfassen“, so charakterisierte der Germanist und evangelische Theologe das Problem seiner Aufgabe. Danach kam Siegfred Deduro. Obwohl der Filipino über die anschließenden, nicht mal 80 Jahre bis heute sprach, stand ihm etwas mehr Zeit zur Verfügung.
1979 lebte Jörg Schwieger über die hiesige Evangelische Studentengemeinde ein Jahr lang auf den Philippinen. Später arbeitete er in Deutschland in unterschiedlichen Funktionen für das Inselreich im Pazifik. Heute stellt er sich zumeist ehrenamtlich in den Dienst des Landes. Der Protestant sprach über breitgefächerte Handelsverbindungen zur Nachbarschaft, die die Philippinen schon um 600 nutzten. Und darüber, wie wichtig der Archipel für Warenverkehr wurde, nachdem die Seidenstraße nicht mehr funktionierte. So sei Manila ein Welthandelspunkt geworden, auch wegen der guten Lage auf dem Weg nach Süd- und Nordamerika. Für Kolonialherrn seien die Philippinen wegen der Gold-Vorkommen interessant gewesen. Zunächst kamen Spanier, dann Amerikaner. Neben dem Katholizismus brachten die Ersten ihren Feudalismus mit Lehenssystem und Frondiensten mit. Dabei waren die Orden der Augustiner, Dominikaner und Franziskaner riesengroße Grundbesitzer. 1898 verkaufte Spanien die Philippinen für 20 Mio. Dollar an die USA. Auch in Bad Berleburg fiel folgende beliebte Kolonialzeit-Beschreibung: „Nach 300 Jahren Kloster kamen 50 Jahre Hollywood.“
Im Veranstaltungs-Titel stand das Wort „Demokratie“. Gleich im ersten Satz seiner Ausführungen stellte Siegfred Deduro klar, dass die Philippinen zu nationaler Befreiung und Demokratie auf „einer weiterhin andauernden Reise“ unterwegs seien. Seinen Vornamen hat Siegfred Deduros Vater ihm ausgesucht. Pate stand der Nibelungen-Held - auch wenn das eine fehlende „i“ auf dem Amt verloren gegangen sei. Gemeinsam mit seiner Frau lebt der Menschenrechts-Aktivist heute wegen politischer Verfolgung im deutschen Asyl. Die Tochter ist in den USA, der Sohn auf den Philippinen. Dort kann das Ehepaar ihn und seine Familie nicht mehr besuchen. Siegfred Deduro hatte einst selbst im Senat gesessen. Dennoch musste er jetzt in Bad Berleburg über ein tendenziell nutzloses, vor allem korruptes Parlament sprechen. Dabei ging es nicht nur um die belegte Diktatur zwischen 1972 und 1986, sondern um die gesamte Zeit: Schon lange tauchen immer wieder dieselben Nachnamen Marcos, Aquino und Arroyo in der Staatsführung auf, nun kommt wohl Duterte hinzu. Obwohl Rodrigo Duterte, Präsident von 2016 bis 2022, seit März 2025 in Den Haag wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ auf den Prozess vorm Internationalen Strafgerichtshof wartet. Dutertes Nachfolger als Präsident heißt Ferdinand Marcos, genau wie sein Vater, der Diktator von 1972 bis 1986. Und Duterte hat vor vier Monaten aus dem europäischen Gefängnis heraus in Abwesenheit die Bürgermeisterwahl der Millionenstadt Davao City gewonnen, zum achten Mal.
Das Bild, das die Referenten zeichneten, war desillusionierend. Aber befragte man sie nach der Zukunft der Philippinen, dann sagte Jörg Schwieger, seine Einschätzung komme bei ihm auf die Tagesform an: Oft habe er inzwischen keine Hoffnung mehr fürs Land, auch wenn es manchmal noch andere Tage gebe. Ganz anders Siegfred Deduro. Er selbst hatte im Untergrund gegen die Marcos-Diktatur gekämpft - und setzt gerade alle Hoffnung auf die jungen Menschen in seinem Geburtsland. Die seien unzufrieden und ließen sich die Ungerechtigkeit nicht mehr lange bieten, die würden bestimmt aufbegehren. Da war er sich sicher. Aber sein Namenspate ist ja auch ein germanischer Drachentöter. Er und seine Frau fahren kommende Woche nach Den Haag. Dort wollen sie gegen Duterte demonstrieren, auch wenn möglicherweise der Prozess gegen ihn nochmal verschoben wird. Währenddessen geht in Wittgenstein das Literaturpflaster weiter.
Text und Fotos: Jens Gesper
Buch-Empfehlungen zum Vortrag Deduro/Schwieger für die Literaturpflaster-Gäste