Lernen von den Profis
150 Jugendliche hatten beim Literaturpflaster Freude an Graphic-Novel-Workshops mit Paolo Herras und Jerico Marte
Bad Berleburg. Das menschliche Durchschnittsalter in Deutschland liegt bei 45, auf den Philippinen bei 26 Jahren. Im Alterskorridor dazwischen und außerdem auf den Philippinen leben Paolo Herras und Jerico Marte. Die beiden Filipinos waren jetzt zu Gast auf dem Literaturpflaster mit ihrer Graphic Novel über vergessene und verlorengegangene Erinnerungen: Während Paolo für die Geschichte in diesem bebilderten Roman zuständig war, stammten die Zeichnungen von Jerico. Wie bereits zuvor gab es auch diesmal wieder Graphic-Novel-Workshops auf dem Literaturpflaster. 150 Schülerinnen und Schüler der achten Klassen der Berleburger Realschule und des Johannes-Althusius-Gymnasiums besuchten dieses Seminar im Dritten Ort, der Berleburger Bücherei der Zukunft.
Gut gegliedert erläuterten Paolo und Jerico zunächst den sechs einzelnen Schulklassen allgemein die Grundstruktur einer Erzählungshandlung, sprachen ganz konkret über ihre eigene Arbeitsweise und ermunterten die jungen Leute, sich eine persönliche Bildergeschichte auszudenken. Danach gab es zwei Abläufe der Workshops: Mal zeichnete jemand einen Umriss auf ein großes, für alle sichtbares Plakat, mal erhielt man von jemandem aus der Nachbarschaft einen solchen Schattenriss. Daraus sollte dann der Körper des Hauptdarstellers in der Geschichte werden. Dafür hatten alle vier leere, quadratische Kästchen auf ihrem Arbeitsblatt: für Anfang und Ende, Problemstellung und Lösung.
Schon beim Umriss-Entschlüsseln bewiesen die Jugendlichen ihren eigenen Kopf: was der eine als Stoppschild deutete, erkannte die andere als Kaninchen. Auch wenn es in den Geschichten oft um Gefahr und Einsamkeit, um Drachen und Geister ging, auch wenn das End oft gar nicht Happy war, beeindruckten die jungen Leute mit unglaublicher Phantasie, mit viel handwerklichem Geschick von Bleistift bis Wachsmalkreide und umwerfenden Grund-Ideen. Wer hätte sich eine Schnecke auf dem Laufsteg vorstellen können, einen Keks, den niemand essen will, einen missmutigen Tintenfisch, einen Zauberwürfel, der eine Ecke verliert, oder auch die Liebesgeschichte zwischen einem Affen und einer Banane. Offenbar hatten die Schülerinnen und Schüler auch zugehört, als Paolo sie angefeuert hatte, sie sollten vor allem eines bei der Arbeit haben: nämlich Spaß. Wie Paolo war auch Jerico zwischen den Atelier-Tischen der Jugendlichen unterwegs, um sich auf Englisch die Geschichten erzählen zu lassen, um Profi-Tipps zu geben und immer wieder mit der Bemerkung „Good Job“ die jungen Leute zu ermutigen und ihnen eine gute Arbeit zu attestieren.
Wobei sich sogar die eine oder andere Lehrkraft aufs Zeichnen und Geschichte-Erfinden einließ: Von der Realschule waren Fabian Ballmann, Jörg Hochdörffer, Christine Kekec und Dariusz Klein mit ihren Klassen vor Ort sowie Anne Warratz-Ermert und Janina Wolf vom Johannes-Althusius-Gymnasium. Nach dem Graphic-Novel-Unterricht wurden in allen Gruppen von den Schülerinnen und Schülern ihre Arbeiten vorgestellt - und am Ende die besten fünf oder sechs ausgesucht. Diese sind derzeit wie zahlreiche vergrößerte Bilderseiten aus dem Buch von Paolo Herras und Jerico Marte bis Freitag, 14. November, bei einer Literaturpflaster-Ausstellung in der Berleburger Hauptgeschäftsstelle der Sparkasse Wittgenstein zu sehen. Zahlreiche lobende Rückmeldungen von den Jugendlichen, ihren Lehrern und Lehrerinnen bestätigten das Konzept. Und Paolo Herras und Jerico Marte konnten sich über noch Etwas freuen: Wenn sie gefragt wurden, wie alt sie seien, mussten die jungen Leute erst ihr Alter schätzen. Und das war jedes Mal viel niedriger als das tatsächliche. Wahrscheinlich hält es jung, wenn man Graphic Novels schreibt oder zeichnet und die Arbeit einem Freude macht.
Text und Fotos: Jens Gesper