Von tapferen Mädchen und großen Reisen

Autorin Candy Gourlay liest im Rahmen des Literaturpflasters im Jugendcafé in Bad Berleburg

Candy Gourlay (rechts) liest im Bad Berleburger Jugendcafé am Markt. Die deutschen Passagen trägt Christiane Biechele vor (links), moderiert hat Rikarde Riedesel (Mitte). (Foto: Stefanie Alteheld)

Bad Berleburg. Mit der unerschrockenen Luki betrat eine beeindruckende literarische Hauptfigur die Bühne im Jugendcafé am Markt. Die 16-Jährige geht auf die Jagd und will Kriegerin werden – unvorstellbar für ein Mädchen, zumal eines aus der Bontok-Volksgruppe auf den Philippinen im Jahr 1904. Heiraten möchte sie ihren besten Freund Samkad auch nicht, zumindest noch nicht.

Da kommt es äußerst gelegen, dass der Amerikaner Truman Hunt Ureinwohner für die Weltausstellung in St. Louis, Missouri anwirbt. Dort sollen sie ihr Land und ihre Kultur präsentieren – oder eher das, was man sich in Amerika darunter vorstellt.

Das große Abenteuer von Lukis Reise, schöne und verstörende Momente präsentierte Candy Gourlay ihrem Publikum im Rahmen des Literaturpflasters in Bad Berleburg. Selbst auf den Philippinen geboren, aber seit Jahren im Vereinigten Königreich ansässig, zählt sie zu den bekanntesten Kinder- und Jugendbuchautorinnen des Inselstaates. Im Oktober wird sie bei der Frankfurter Buchmesse auftreten, deren Ehrengast das südostasiatische Land in diesem Jahr ist. Gourlay las aus dem englischen Original „Wild Song”, die deutschen Passagen trug Christiane Biechele vor, „mit schöner Stimme”, wie die Schriftstellerin lobte. Rikarde Riedesel moderierte und vermittelte zwischen den Sprachen.

Ein gutes Dutzend Gäste, überwiegend nicht jugendlich, begleitete Luki gedanklich auf ihrer Reise, durch Jagdszenen, die Schifffahrt über den Ozean und die erste Begegnung mit Sadie Locket, die als weiblicher Cowboy in Wild-West-Shows auftritt. Überrascht stellen beide fest, wie ähnlich sie sich sind – mit dem Ausbruch aus Rollen, die andere ihnen aufzwingen wollen. Eine bewusste Entscheidung Gourlays: „Luki sollte andere Möglichkeiten sehen, wie Frauen leben können.“ Außerdem sollte sie eine positive amerikanische Figur kennenlernen.

Denn die Bontok sehen in den USA nicht nur das gerade erfundene Riesenrad und viele technische Neuerungen, sondern erleben auch Ablehnung, Rassismus und teilweise Gewalt. Auf dem abgeschotteten Gelände der Weltausstellung werden sie den Besuchern wie Zootiere vorgeführt. Die Aufführung ihrer eigenen Tänze ist weniger beliebt als der amerikanische „Cakewalk Dance“, also wird eben der getanzt.

Das mag noch harmlos sein, aber der Reiseorganisator Hunt nötigt die Gruppe auch, regelmäßig Hunde zu schlachten und zu essen. Für Luki eine traumatische Erfahrung, denn die Stammesältesten hatten den Hund ihrer Mutter getötet, um dieser das Sterben zu erleichtern. Bei den Bontok bestehen „sichtbare und unsichtbare Welt“ nebeneinander: „Die Toten leben weiter unter ihnen, gehen nicht in Himmel oder Hölle.“ Und so erzählt auch Luki ihrer Mutter ständig von ihren Erlebnissen.

Ortrud Riedesel freut sich über eine Signatur von Candy Gourlay für Tochter Friederike. (Foto: Stefanie Alteheld)

"Ich schreibe für junge Menschen, da muss es ein bisschen Hoffnung geben."
Candy Gourlay, Autorin

Bei der Recherche für ihr Buch musste Candy Gourlay sich mit den kolonialistischen Menschenbildern der damaligen Zeit auseinandersetzen, für die Autorin durchaus schmerzhaft: „Immer habe ich gelesen, dass wir ein hässliches Volk sind.“ Die Schädel der Bontok wurden vermessen, ebenso die Nasenbreite. Mit den Ergebnissen sollte dann die rassische Überlegenheit der Amerikaner bestätigt werden. Solche Art von „Forschung“ erinnert an die dunklen Kapitel deutscher Geschichte. Die Nasenbreite sei bis heute ein nationales Trauma, verriet die Schriftstellerin: Ihre Mutter habe sie immer daran erinnert, ihre Nase zusammenzudrücken, damit sie schmal bleibe.

Das Buch endet dennoch nicht bedrückend. Denn Gourlay hat ihre Zielgruppe fest im Blick: „Ich schreibe für junge Menschen, da muss es ein bisschen Hoffnung geben.“

Von Stefanie Alteheld

„Mädchen erleben viel Kontrolle”

Die auf den Philippinen geborene Candy Gourlay verrät im Interview mehr über ihre Bücher

Candy Gourlay präsentiert ihren Literaturpflasterstein. (Foto: Stefanie Alteheld)

Bad Berleburg. Die philippinische Kinder- und Jugendbuchautorin Candy Gourlay reiste im Rahmen des Literaturpflasters zu einer Lesung nach Bad Berleburg. Im Anschluss nahm sie sich Zeit für ein Interview. Das Gespräch wurde auf Englisch geführt und ins Deutsche übersetzt.

Warum haben Sie sich entschieden, für eine Lesung nach Bad Berleburg zu kommen? Es ist schließlich eine ziemlich kleine Stadt.

Mein Name muss auf einer Liste gewesen sein. Ich weiß wirklich nicht, wie Rikarde Riedesel mich entdeckt hat. Sie hat meinen Verlag kontaktiert und die Lesung dann dort arrangiert. Es geht also alles auf Rikarde zurück. Und es ist toll, dass sie all diese Menschen nach Bad Berleburg einladen konnte, das sind Top-Schriftsteller der Philippinen. Sie sind wie Stars. Ich weiß wirklich nicht, wie sie das geschafft hat.

Hatten Sie noch Gelegenheit, sich hier etwas umzuschauen?

Ich habe es nicht geschafft, noch besonders viel zu unternehmen. Aber ich würde wirklich gern wiederkommen und hier Urlaub machen, wandern und mir die Orte in der Umgebung anschauen. Es sieht schon sehr, sehr schön aus. Das gemeinsame Abendessen war ganz bezaubernd. Alle schienen sich untereinander zu kennen. Wir kamen also rein ins Restaurant und sofort waren alle miteinander im Gespräch. Für mich wurde auch immer übersetzt, was die anderen gesagt haben. Und so wurde über Menschen im Ort gesprochen. Das war bemerkenswert, es war wie eine richtige Gemeinschaft. Ich habe viel gelernt, zum Beispiel über Schützenfeste.

Luki, die Hauptfigur Ihres Romans, lehnt sich gegen traditionelle Rollenbilder auf. Wie reagieren Ihre Leser darauf, gerade auch die Leserinnen?

Luki löst wirklich etwas bei Mädchen aus. Ich denke, die meisten Mädchen fühlen sich eingeengt. Sie erleben so viel Kontrolle. Sogar erwachsenen Frauen wird gesagt, wie sie sich anziehen, wie sie aussehen sollen. Bei einem Workshop in Berlin sind Transkinder auf mich zugekommen, die sich in Luki wiedererkannt haben. Auch sie fühlten sich gefangen in sozialen Normen.

Sie sprechen auch Kolonialisierung und Rassismus an. Wenn Sie nun gerade hier in Deutschland sind – sehen Sie da Parallelen zur NS-Zeit?

Ich bewundere sehr, wie in Deutschland damit umgegangen wird. In Berlin und Wiesbaden sind mir Hinweise zur Erinnerung an jüdische Menschen aufgefallen, die früher in diesen Häusern gelebt haben.

Von Stefanie Alteheld


WESTFALENPOST (22.09.2025)
Internet: www.wp.de/staedte/wittgenstein/
Bildquelle: Fotos (3) von Stefanie Alteheld

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