Letzte Lesung des Literaturpflasters
mit Jan Costin Wagner

Reflektion über Abgründe

Jan Costin Wagner (SZ-Foto: Guido Schneider)

Bad Berleburg. (schn) Das oft kalte Skandinavien gilt als ein ganz heißes Pflaster, wenn es um Krimis geht. Die Region im Norden Europas gilt als Exportweltmeister in diesem Genre. Wo sonst versprühen so viele Schriftsteller so viel kriminelle Energie? Mit ihren Mordgeschichten sind einige Autoren weltbekannt geworden. Jan Costin Wagner ist dabei, in diese erste Liga der Kriminalautoren vorzustoßen. Dabei stammt Wagner nicht einmal aus Finnland, dem Gastland des Literaturpflasters 2014, nicht einmal aus Skandinavien, er stammt aus Heusenstamm bei Offenbach und hat, soweit man das von außen beurteilen kann, einen großen Teil der melancholischen skandinavischen Seele eingesogen.

Jan Costin Wagner ist mit einer Finnin verheiratet, schreibt Musik und lebt einen großen Teil des Jahres im Norden Europas. Am Mittwoch kam er zur letzten Lesung des Bad Berleburger Literaturpflasters in das ungewöhnliche Ambiente des Autohauses Kroh. Dort präsentierte er sich als wortgewaltiger Erzähler und hervorragender Vermarkter seiner eigenen Geschichten. Selbstbewusst gewährte er dem Publikum Einblicke in sein Werk, zeichnete Charakterstudien seiner Figuren und ließ sich von den Zuhörern bildlich bei der Arbeit über die Schulter schauen. Zu seinen Figuren gehört der finnische Kommissar Kimmo Joentaa und verglichen mit ihm, ist Mankells Kommissar Kurt Wallander ein echter Sonnenschein. Wagner las aus dem fünften Fall Kimmo Joentaas, "Tage des letzten Schnees". Wie schon in den vorangegangenen Büchern geht es auch hier nicht nur um einen zu lösenden Mordfall. Es geht auch um die Frage, wie ein Mensch nach einem schrecklichen Verlust weiterleben kann.

Diese Frage bewege ihn auch persönlich und er stelle sie auf vielfältige Weise in seinen Büchern. Da hat der Autor Recht, sein neuestes Werk ist multiperspektivisch angelegt. Erst auf der letzten Seite werden die losen Enden der verschiedenen Handlungsstränge miteinander verknüpft.

Lange Zeit scheint es, als stünden die Geschichten nebeneinander, als hätten sie nichts miteinander zu tun, haben sie natürlich doch. Sie alle haben auch eine Verbindung zu Kimmo Joentaa. Kimmo kennt Lasse Ekholm, den ehemaligen Chef seiner verstorbenen Frau, und er kennt das Krankenhaus, in dem Lasse Ekholm nach dem Unfall liegt. Kimmo kennt die Situation, in der Markus Sedin sich befindet, denn auch er hat sich in eine Prostituierte verliebt: in eine Frau, die sich Larissa nennt. Lasse Ekholm ist der Vater der elfjährigen Anna, die bei einem Autounfall stirbt, und der Fahrer flüchtet. Markus Sedin ist Investmentbanker, der sich in die die Rumänin Réka verliebt und sie durch einen Mord verliert. Inmitten dieser Gemengelage ermittelt Kimmo Joentaa.

Jan Costin Wagner vermag es mit knappen Sätzen kraftvolle Bilder zu zeichnen. Seine Dialoge sind bisweilen knapp, manchmal sogar wortkarg dürftig. Dennoch ist seine Inszenierung geradezu filmisch präzise. Die Sprache ist oft geprägt von lakonischen Sätzen, die Welt wirkt kalt, farblos. Einer Dokumentation ähnlich lässt er seine Figuren agieren, zeichnet ein Psychogramm der Handelnden. Manchmal wirkt es schon fast zu psychologisierend, als trete die Handlung in den Hintergrund und die Analyse der Figuren dränge sich auf. Wärme strahlen diese Personen nur selten aus, auch wenn Hoffnung ein Motiv ist, die Hoffnung, dass das Leben weiter geht. Wer solche Bücher mag, Bücher die über Abgründe reflektieren, der ist bei Jan Costin Wagner gut aufgehoben.

Von Guido Schneider


Siegener Zeitung (24.10.2014)
Internet: www.siegener-zeitung.de
Bildquelle: SZ-Foto von Guido Schneider (schn)

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