40 Besucher wollten etwas wissen
über die "Antiken Stätten in der Türkei"

Noch ein Puzzlestück fürs Ganze

Ein Literaturpflaster ist ja sowieso schön, aber wenn es besonders schön ist, dann schließen sich während der Veranstaltungsreihe Kreise, wie am Sonntagabend.

Bad Berleburg. (jg) Eigentlich habe er gar nicht über Istanbul sprechen wollen, aber dann habe er am Samstag einen James-Bond-Film im Fernsehen gesehen. Und sogar in dem sei Istanbul vorgekommen, deshalb habe er seinen Vortrag über die "Antiken Stätten in der Türkei" doch noch um Byzanz oder auch Konstantinopel erweitert, so der Referent Dr. Peter Kracht. Das war der Ton bei dem Dia-Vortrag im Landhaus Wittgenstein am Sonntagabend und der dazu passende Tonfall hörte sich an wie Else Stratmann light. Kein Wunder, kam der vortragende Althistoriker doch aus Unna.

Rikarde Riedesel (M.) hatte am Sonntagabend zwei Literaturpflastersteine dabei. Einen für den gleichermaßen gebildeten wie unterhaltsamen Referenten Dr. Peter Kracht und einen für Monika Grobbel, die Chefin im 'Landhaus Wittgenstein'. (SZ-Foto: Jens Gesper)

Aber um das gleich zu Beginn zu sagen, auch wenn der Ton die Musik macht, das Wichtige ist der Inhalt. Und wenn der fundiert ist, nimmt er keinen Schaden, wenn er mal etwas flapsiger präsentiert wird. Vielleicht kriegt man so sogar Leute zum Zuhören, die sonst eher unbeteiligt am Thema vorbeilauschen. Und so tragisch das für historische Tatsachen sein mag, die kann man sich nun einmal viel besser behalten, wenn man sie im Zusammenhang mit einer kleinen Anekdote erzählt bekommt. Etwa die Geschichte, weshalb Byzanz da angesiedelt wurde, wo es angesiedelt wurde. Es habe für die alten Griechen einen Orakelspruch aus Delphi gegeben, sie sollten die Stadt gegenüber von den Blinden gründen. Sie kamen nach Kalchedon – heute: Kadiköy – und fanden, die Städtegründer hier müssten blind gewesen sein. Sie hatten die Stadt nämlich auf der einen Seite des Bosporus angelegt, obwohl es auf der anderen Seite des Wassers quasi einen idealen natürlichen Hafen gab. Die Griechen sagten sich, wer das nicht sieht, ist blind, also gründen wir unsere Stadt auf der anderen Seite. So wurde dem Orakelspruch Genüge getan.

Aber damit nicht genug des Guten, der Vortrag war noch aus einem anderen Grund klasse. Wie ein hundertprozentig passendes Puzzlestück fügte er sich in das Bild ein, das am vergangenen Mittwoch Reiner Harscher mit seiner Multivisionsschau "Türkei" auf dem Literaturpflaster zeichnete. Ephesos, Pergamon, Pamukkale, Konya – diese Orte kamen allesamt bei Reiner Harscher vor. Und während dieser diese historisch wichtigen Stellen streifte, gab es diesmal von Peter Kracht jede Menge Geschichtliches drumherum. Wobei der Journalist schon gleich zu Beginn klar gemacht hatte, wenn er mit einer guten Stunde Vortrag hinkommen wolle, müsse er die Hethiter außen vor lassen. Und das tat er auch, denn Griechen und Römer boten gemeinsam mehr als genügend Stoff. Er erzählte den rund 40 Zuhörer, das die Griechen so viel in der Welt unterwegs waren, um ihre Getreidezufuhr zu sichern, und sagte auch hier und da unerwartete Sachen. Etwa in Bezug auf die Hagia Sophia, die heute nur noch ein Museum ist. Es sei gut, dass aus der Kirche zunächst mal eine Moschee geworden sei, so hätten sich die Gläubigen über Jahrhunderte um den Erhalt des Gebäudes gekümmert. Dieser Zusammenhang ist logisch, aber es ist schön, wenn man mal drauf hingewiesen wird. Nicht so sehr werden sich die Muslime gefreut haben, weil der Referent sie auch mal Mohammedaner nannte, was vielen Muslime nicht gefällt. Zu sehr erinnert sie das an die bei uns üblichen Zusammenhänge von Christus und Christen.

Immer wieder beleuchtete der Wissenschaftler auch den Alltag der Menschen damals. Etwa die öffentlichen Toiletten von Ephesos, die von "zwei Fußball-Mannschaften gleichzeitig genutzt" werden konnten. Die Nachfrage mit der Scham konterte Peter Kracht cool: "Die kam erst mit dem Christentum auf." Als er dann noch über Myra sprach, da wo unser Nikolaus herkommt, gab es schon wieder eine etwas skurrile Einschätzung: "Das Schönste ist unbestritten die Nekropole." Prima, wenn man das über das Gräberfeld einer Stadt sagen kann. Über Thermen und Theater, über Infrastruktur und Grundwasser sprach Peter Kracht genauso wie über das große Glück der Althistoriker: "Man kann alles annehmen, denn man kann keinen mehr fragen, die sind alle tot." Wenn man ihn darauf allerdings ansprechen würde, dann werde er abstreiten, so etwas jemals behauptet zu haben.

Von Jens Gesper


Siegener Zeitung (28.10.2008)
Bildquelle: SZ-Foto (1) von Jens Gesper (jg)

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