Der Autor Selim Özdogan beschloss Reihe der Lesungen des Berleburger Literaturpflasters

Der Autor Selim Özdogan. (WR-Foto: Stefan Kascherus)

Melancholischer,
anatolischer Blues

Bad Berleburg. (sk) "Melancholischer, anatolischer Blues" - Mit einem vielschichtigen Literaturerlebnis geht die öffentliche Vorlesungsreihe des Literaturpflasters 2008 zu Ende: Selim Özdogan las in der Odebornklinik aus seinem Roman "Die Tochter des Schmieds" und aus unveröffentlichten Manuskripten. Letztere waren die heimlichen Perlen des Abends.

Selim Özdogans Roman erzählt ein Schicksal, wie es viele gibt und gab. In Anatolien geboren übernimmt Gül, die Tochter des Dorfschmiedes, nach dem Tod der Mutter als Älteste von drei Schwestern den Haushalt, bricht nach der Grundschule ihre Schullaufbahn ab und heiratet mit 15 Jahren ihren Onkel, von dem sie zwei Kinder bekommt und dem sie in den 1960er Jahren nach Deutschland folgt.

Ein Schicksal, wie es tausende Frauen in der Türkei erlebten. Keine Besonderheit in jenen Zeiten und sicher auch zigmal literarisch umrissen, aufgebohrt und zerwürfelt. Bei Özdogan allerdings ist es anders.

Der begabte Schriftsteller, 1971 geborener Kölner türkischer Abstammung, beschreibt fernab von pseudo-soziologischen Wissenschaftsansprüchen, jenseits von Stereotypisierung des Islam und vermeintlicher Stigmatisierung türkischer Gewohnheiten auf sanfte und poetische Weise ein Buch, dessen Geschichte unspektakulär, dessen Lesen aber einen ungetrübten, ehrlichen Einblick in die kulturelle Historie der türkischen Gesellschaft liefert.

Özdogan beschreibt Menschen, beschreibt Umgang, beschreibt Lebensweisen. Das einzige Radio im Dorf gehörte dem Schmied, damit bei ihm die Nachbarn nicht täglich im Haus saßen. Um den neuesten Fußballmeldungen zu lauschen, kauft er einen Lautsprecher und stellt ihn auf sein Dach. Abends sitzen die Dorfbewohner vor ihren Türen und hören alle zu. Eine Geschichte, wie sie auch von deutschstämmigen Großeltern stammen könnte.

Özdogan beschreibt Menschen und Lebensweisheiten

Der neunte Roman des studierten Völkerkundlers, Anglizisten und Philosophen führt die gelobte Erfolgsserie des 1971 in Adana (Çukurova-Tiefebene, Türkei) geborenen Nachwuchsschriftstellers fort. Im Kindesalter kam er nach Deutschland, wuchs zweisprachig auf und machte sein Abitur. Seit 1995 schreibt er. Sein Erstlingswerk "Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist" (1995) gilt als preisgekröntes Kultbuch. Der humorvolle und ehrliche junge Mann, der sich in der Cafeteria der Odebornklinik präsentierte, wo im vergangenen Jahr Maria Barbal mit "Wie ein Stein im Geröll" einen katalanischen Roman über das Schicksal einer jungen Frau vorstellte, betrachtet sich selbst augenzwinkernd als Varieténummer unter den Schriftstellern, die keine großen Hallen füllt, sondern wie Rex Guildo, der in Möbelhäusern spielte, öffentlich eher leise tritt.

Neben erheiternden Anekdoten aus seiner Erfahrung mit der Pauschalisierung und Klischees, der ein Deutsch-Türke ausgesetzt ist, brachte Özdogan außerdem einige sozialkritische Texte, wenn auch ohne Türkeibezug, aber dennoch literarisch wertvoll, mit.

Neben einer "modernen Neufassung" des Turmbaus zu Babel unter dem Titel "Die schwulen Ziegen von Lesbos" und einer Bewerbung als "Schläfer" bei Terroristenführer Osama Bin Laden auch die sozialkritischen Texte "Irrglaube", "Männer" und "Geblümtes Klopapier".

Rikarde Riedesel, Moderatorin des Literaturpflasters und Mitorganisatorin, zeigte sich begeistert über den wörtlich "genialen Abschluss" der diesjährigen Veranstaltungsreihe.

Unmittelbaren Kontakt mit dem Autor Selim Özdogan hatten auch Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 11 in der Aula des Johannes-Althusius-Gymnasiums. Schnell kam der Autor mit den Jugendlichen ins Gespräch über den Prozess des Schreibens und den Beruf des Schrifstellers.

Von Stefan Kascherus

Info

In Deutsch geschrieben

  • Selim Özdogan: Die Tochter des Schmieds; 310 Seiten (Taschenbuch) / 318 Seiten (gebunden); Aufbau-Verlag; Auflage 4 (Januar 2007); ISBN-13: 978-3746622897.
  • Der Roman ist der neunte von Selim Özdogan. Wie alle Werke von Özdogan wurde das Buch auf Deutsch verfasst. Eine türkische Übersetzung gibt es ebenfalls.

Westfälische Rundschau (12.11.2008)
WR-Bild: Stefan Kascherus (sk)

Westfälische Rundschau
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